Aktuelle Rechtsprechung zur Fluggastrechteverordnung im Mai 2020

Das Landgericht Köln (LG Köln) sah sich jüngst mit den Umbuchungskosten eines annullierten Fluges konfrontiert. Der Europäische Gerichtshof musste sich mit der Frage der Umbuchung eines von zwei Flügen und der Frage der Gesamtverspätung auseinandersetzten. Im Rahmen unsere lose Reihe zur aktuellen Rechtsprechung zur Fluggastrechteverordnung im Mai 2020 möchten wir Euch die Entscheidungen vorstellen.

Rechtsprechung zur Fluggastrechteverordnung im Mai 2020

Die Entscheidungen, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu entscheiden hatte, hat eine grundsätzliche Bedeutung. Der Beschluss des LG Köln vom 08.05.2020 hat Auswirkungen auf die Praxis der Lufthansa und anderer Airlines. Hierbei handelt es sich allerdings nur um ein einstweiliges Verfügungsverfahrens.

Annullierung eines von zwei Flügen

Häufig kommt es vor, dass ein Fluggast nicht direkt fliegt, sondern auf seiner Reise umsteigen muss. Dies war bereits in der Vergangenheit häufig Gegenstand von Entscheidung des EuGH. Es geht diesmal um eine gegen den Willen des Passagiers erfolgte Umbuchung. Allerdings betraf die Umbuchung nur einen von zwei Flügen. Angekommen ist das Passagiere trotzdem pünktlich. Das ist für die zu klärende Frage wichtig.

Mailand Malpensa / SQ356 SIN-MXP
Nicht immer geht es direkt – mitunter muss umgestiegen werden.

Der Kläger in dem Verfahren C-191/19 buchte ursprünglich einen Flug von Jerez de la Frontera via Madrid nach Frankfurt am Main. Der erste Flug von Jerez de la Frontera gebucht mit Flugnummer von Iberia, der zweite Flug erfolgte mit Iberia unter eine Flugnummer von Air Berlin.

Planmäßiger Abflug ab Jerez de la Frontera war 13:35 bei Ankunft in Madrid um 14:45. Von dort sollte es um 20:00 Uhr weiter nach Frankfurt a.M. geben. Der Passagiere wurde gegen seinen Willen auf einen späteren Flug ab Jerez de le Frontera umgebucht. Dieser verlies Jerez de la Frontera erst um 17:55 und landete in Madrid um 19:05. Der Flug von Madrid nach Frankfurt am Main war überpünktlich. Auch erreicht der Passagier in Madrid trotz Umbuchung den Anschluss.

Die Kläger begehren von Air Nostrum eine Ausgleichszahlung wegen Nichtbeförderung. Das Amtsgericht Frankfurt am Main (AG Frankfurt a.M.) hat die Klage abgewiesen. Das LG Frankfurt a.M. hat das Verfahren ausgesetzt. Es hat die Sache dem EuGH vorgelegt.

Vorlagefrage

Das LG Frankfurt a.M. wünscht vom EuGH Auskunft zur Frage, ob die Umbuchung eines von zwei Flügen gegen den Willen des Fluggastes eine Nichtbeförderung i.S.d. Art 4 Abs. 3 Verordnung (EU) 261 / 2004 darstellt, wenn der ursprünglich gebuchte Flug weiterhin durchgeführt wird.

Stellt die Umbuchung eines zur Abfertigung am Flughafen erscheinenden Fluggasts, der für einen bestimmten Flug über eine bestätigte Buchung verfügt, gegen dessen Willen auf einen späteren Flug einen Fall der Nichtbeförderung im Sinne des Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dar, wenn der Flug, auf den sich die bestätigte Buchung des Fluggasts bezieht, weiter durchgeführt wird?

Der EuGH hat diese Vorlage aus formaljuristischen Gründen umformuliert. So interpretiert es die Vorlagefrage, ob …

… dem Fluggast, der für einen Flug mit Anschlussflug über eine einzige Buchung verfügt, eine Ausgleichszahlung zusteht, wenn seine Buchung gegen seinen Willen geändert wurde mit der Folge, dass er den ersten Teilflug seiner gebuchten Beförderung nicht antrat, obwohl dieser Flug durchgeführt wurde, und dass er auf einen späteren Flug umgebucht wurde, der es ihm ermöglichte, den zweiten Teilflug seiner gebuchten Beförderung anzutreten und damit sein Endziel zur planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.

Angemerkt sei an dieser Stelle, dass dies an dem Ergebnis und Bewertung der Rechtsprechung zur Fluggastrechteverordnung im Mai 2020 nichts ändert

Problemfeld

Die Frage wird verständlicherweise aus Sicht der Fluggäste anders gesehen als aus Sicht der Fluglinie.

Mit der Rechtsprechung zur Fluggastrechteverordnung im Mai 2020 setzt sich der EuGH also nicht nur mit der Frage auseinander, ob eine Umbuchung gegen den Willen des Kunden zu Ansprüchen führt. Indes berücksichtigt der EuGH hierbei in ständiger Rechtsprechung, dass auf die Gesamtreise abzustellen ist. Und obgleich es zu einer Umbuchung eines von zwei Flügen kam, erreichte der Passagiere das Endziel pünktlich.

Frankfurt Flughafen Terminal 1
Frankfurt Flughafen Terminal 1
(Dezember 2018)

Entscheidung

In der aktuellen Rechtsprechung zur Fluggastrechteverordnung im Mai 2020 manifestiert der EuGH nun, dass dies nicht der Fall. In dem Urteil vom 30.04.2020 in der Rechtssache C-191/19 bewertet der EuGH den ersten und zweiten Flug als Gesamtreise. Und es stellt insoweit auf die Verspätung bei der Gesamtreise ab.

Demnach ist die Fluggesellschaft zu keiner Ausgleichszahlung i.S.d. EU-Fluggastrechte-Verordnung verpflichtet, wenn es den Kunden gegen dessen Willen auf einen späteren Flug umbucht, dieser das Zielt aber pünktlich erreicht. Dies selbst dann, wenn der ursprünglich gebuchte Flug stattfindet. Abzustellen ist bei der Annullierung genau wie bei einer Verspätung auf die Auswirkungen auf die Gesamtreise. Und im vorliegenden Fall erreichte der Passagier sein Ziel pünktlich.

Diese bedeutet, dass die Fluggesellschaft bei einer großen Zeitpuffer durchaus die Möglichkeit hat, Passagiere gegen deren Willen auf spätere Flüge umzubuchen. Hierbei darf es allerdings nicht zu einer Verspätung des Gesamtfluges i.S.d. Fluggastrechteverordnung kommen.

Auswirkungen

Diese Entscheidung zur Umbuchung eines von zwei Flügen gegen den Willen überrascht. Und trotzdem folgt der EuGH mit seiner Rechtsprechung zur Fluggastrechteverordnung im Mai 2020 seiner ständigen Rechtsprechung. Dies, da er daran festhält, dass auf die Gesamtdauer der Reise abzustellen ist.

Somit ist es Fluggesellschaften möglich, Passagiere mit langen Umsteigezeiten auch gegen den Willen umzubuchen, wenn diese Ihr Endziel nicht verspätet erreichen. Die Airline dürfte auch dann nicht belangt werden können, wenn durch die Umbuchung eines von zwei Flügen die Voraussetzungen der Verordnung (EU) 261 / 2004 für eine Erstattungspflicht nicht erfüllt werden. Mit anderen Worten wird der Kläger gegen dessen Willen umgebucht, erreicht sein Ziel aber weniger als zwei Stunden verspätet, bestehen keine Ansprüche. Dies ermöglich den Fluggesellschaften bei überbuchten Flügen eine flexiblere Handhabe. Aus Sicht des Passagiers allerdings sind nicht alle Flughäfen zum Warten gleich schön.

Flughafen Frankfurt
Startende Lufthansa Boeing 747-400 in Frankfurt
(August 2009)

Umbuchungskosten eines annullierten Fluges

Die Frage der Umbuchungskosten eines annullierten Fluges stellt sich insbesondere auch gegenwärtig. Leider ist es aber so, dass manche Fluggesellschaften für Umbuchungen Aufzahlungen fordern. Dies obwohl die ursprüngliche Buchungsklasse verfügbar ist. Im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahren gibt es nun einen Beschluss des LG Köln vom 08.05.2020 zu dieser Frage. Wir stellen Euch die diesbezügliche Rechtsprechung zur Fluggastrechteverordnung im Mai 2020 hier gleichfalls vor.

Ausgangslage

Der Flug wird annulliert. Der Passagier kann somit das Ticket erstatten lassen. Ihm steht indes gem. Art. 8 Abs. 1 lit. c auch die Möglichkeit zu, eine zu einem späteren Zeitpunkt eine anderweitige Beförderung zum Reisezielt zu verlangen. Dies in derselben Beförderungsklasse.

Dies wurde in der letzten Zeit von zahlreichen Fluggesellschaften, darunter auch der Lufthansa, verweigert. Hierbei wurde nicht allein auf die Beförderungsklasse abgestellt, sondern die Buchungsklasse und die Bedingungen des ursprünglichen Tickets. Diese sind aufgrund des Zeitablaufs vielfach aber gar nicht mehr einzuhalten. Zudem war es die Fluggesellschaft, die den Flug annulliert hat.

Erstritten hat den Beschluss des LG Köln vom 08.05.2020 Rechtsanwalt Matthias Böse aus Düsseldorf. In seinem Blog könnt Ihr die Details auch nachlesen. Ihr findet dort auch einen Link zum Text des Beschlusses des LG Köln.

Fallgestaltung und Problemfeld

Im vorliegenden Fall hatte die Lufthansa einen Flug annulliert. Der Kunde wollte keine Erstattung – auch weil er der Lufthansa die finanziellen Mittel nicht entziehen wollte. Stattdessen wählt er einen Flug zu einem späteren Zeitpunkt. Plätze waren verfügbar. Gleichwohl verlange die Lufthansa Umbuchungskosten für den annullierten Flug in nicht unerheblicher Höhe.

Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hat die Lufthansa daraufhin auf Unterlassung in Anspruch genommen. Da eine entsprechende Erklärung durch die Lufthansa nicht angegeben worden ist, wurde vor dem LG Köln eine einstweilige Verfügung beantragt. Diese ist nun mit Beschluss des LG Köln vom 08.05.2020 auch antragsgemäß erlassen worden.

LH Business-Class (Airbus A340-300)
Die Lufthansa Business-Class auf der Langstrecke im Airbus A340-300 
(August 2014)

Entscheidung

In dem Verfahren hat das LG Köln den Anspruch auf Unterlassung bejaht. Nach Ansicht des LG Köln steht den Passagieren ein Anspruch auf Beförderung ohne Aufpreis zu. Hierbei ist der Reisepreise unbeachtlich. Mit anderen Worten, es kommt auf verfügbare Plätze an. Nicht darauf, dass der Flug zum Zeitpunkt der Annullierung nicht mehr zum ursprünglichen Preis verfügbar ist.

Das LG Köln folgt damit im Rahmen seiner Rechtsprechung zur Fluggastrechteverordnung im Mai  2020 auch Erwägungsgründen und Auslegungsempfehlungen.  Letztere verneinen in Punkt 4.2 den Aufpreis indirekt.

Dies ist auch logisch, da es die Fluggesellschaft sonst im Rahmen Ihrer Preisgestaltung in der Hand hätte, den Kunden nicht nur durch die Annullierung an sich zu benachteiligen. Die Fluggesellschaft könnte auch noch einen wirtschaftlichen Vorteil aus der Anullierung ziehen. Die Umbuchung würde damit auch an Attraktivität, wenn nicht gar als Option, ausscheiden.

Der Lufthansa wird nun im einstweiligen Verfügungsverfahren auferlegt, diese Praxis einzustellen. Setzt es dieser Praxis fort, kann das Gericht ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 EUR festsetzen. Dieses wird aber nicht sofort in dieser Höhe festgesetzt und ist zudem an den Justizfiskus zu zahlen.

Auswirkungen

Es handelt sich bei dem Beschluss des LG Köln vom 08.05.2020 gegen die Lufthansa nur um einen Beschluss in einem einstweiligen Verfügungsverfahren. Dies ist ein Eiltverfahren, bei der nur eine grobe Prüfung der Sachlage erfolgt. Erforderlich ist nun ein Verfahren in der Hauptsache.

Hierbei ist es möglich, dass der Beschluss des LG Köln vom 08.05.2020 nicht in dieser Form Bestand hat. Aufgrund der Auslegungsregeln ist es unwahrscheinlich, dass das LG Köln die Sache dem EuGH zur weiteren Auslegung vorlegt. Auszuschließen ist dies nicht. Dann allerdings wird sich das Verfahren in die Länge ziehen.

Ferner hat die Lufthansa die Möglichkeit, Widerspruch gegen den Beschluss des LG Köln vom 08.05.2020 einzulegen. Es kann – im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten -vermutlich gem. §§ 935, 925 ZPO auch beantragen, den Vollzug der einstweiligen Verfügung auszusetzen.

Damit ist diese Entscheidung zum einen nur vorläufig. Sie ist zumindest bis zur Aussetzung teilweise bindend, da es sich um eine Sache nach dem Gesetz über den unlauteren Wettbewerb (UWG) handelt. Das von der Lufthansa gerne ins Feld geführte Argument der Einzelentscheidung greift somit nur bedingt.

BGB und ZPO
BGB und ZPO

Fazit

Der EuGH festigt mit Rechtsprechung zur Fluggastrechteverordnung im Mai 2020 die Auffassung, dass auf die Gesamtheit der Reise abzustellen ist. Im Gegensatz zu früheren Entscheidungen stärkt es aber diesmal die Möglichkeiten der Fluggesellschaften. Demnach ist es für die Airline möglich einem Passagier die Beförderung zu verweigern, wenn dieser dadurch nicht später ans Ziel gelangt. Dies ist im Ansatz auch logisch und nachvollziehbar.

Insoweit ist die Auffassung des EuGH logisch und nachvollziehbar.

Auch wenn der Beschluss des LG Köln vom 08.05.2020 nur im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens ergangen ist. Eine Tendenz ist erkennbar. Demnach ist die Auffassung der Lufthansa, aber auch anderer Fluggesellschaften, hohe Umbuchungskosten bei annullierten Flügen zu verlangen, nicht ohne weiteres haltbar. Auch wenn hier die Entscheidung in der Hauptsache noch aussteht. Die Lufthansa tut gut daran, das Vertrauen der Kunden nicht völlig zu verspielen.

Ein Kunde, der auf eine Erstattung verzichtet, wird stattdessen zur Kasse gebeten. Da darf sich der Vorstand auf der Hauptversammlung nicht beschweren. Dort fordert man ein Entgegenkommen des Kunden. Wenn das Entgegenkommen des Kunden aber in der Zahlung von weiteren beträchtlichen Kosten resultiert, darf sich der Vorstand nicht wundern, wenn die Erstattung gewählt wird. Wer das Entgegenkommen der Kunden fordert, darf diesen eine Gegenleistung nicht verweigern. Dies ist nicht nur eine juristische Frage. Dies ist auch eine Frage der Kundenpflege.

 

 

Über Jan 1411 Artikel
Jan reist seit 20 Jahren und hat es gelernt, diese Reise so angenehm wie möglich zu gestalten. Die häufigen Fragen von Kollegen, Freunden und Bekannten führten zu den Gründungen von Reisenunlimited und Hotels-and-Travel.

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